Hygienisch unbedenkliche Einstreu aus der Biogasanlage
In der Nessetalmilch GmbH in Thüringen liegen die 800 Kühe seit kurzem in fast keimfreier Einstreu. Eine neue Hygienisierungs-Biozelle macht es möglich.
„Wir machen vieles wie andere, aber auch einiges ganz anders“, sagt Christof Kästner zur Begrüßung. Was hier ganz anders ist, zählt er direkt auf: Ein vollautomatisches Zutreiben der Kühe zum Melken, intensive Zucht nach US-amerikanischen Zahlen und seit kurzem...
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„Wir machen vieles wie andere, aber auch einiges ganz anders“, sagt Christof Kästner zur Begrüßung. Was hier ganz anders ist, zählt er direkt auf: Ein vollautomatisches Zutreiben der Kühe zum Melken, intensive Zucht nach US-amerikanischen Zahlen und seit kurzem kommt auf dem Betrieb eine neue Anlage zum Einsatz – die Hygienisierungs-Biozelle.
Wir machen vieles wie andere, aber auch einiges ganz anders!“
Christof Kästner
Betriebsspiegel
- 800 Kühe + 560 in der Nachzucht
- Herdenschnitt 2021: 12.000 kg, 36 ½ Liter im Tagesschnitt
- circa 3500 ha Gesamtfläche, davon circa 200 ha Dauergrünland
- Biogasanlage mit 500 kW
Keimfreie Boxeneinstreu
„Bis vor einem halben Jahr haben wir noch Kompost eingestreut. Das war für die Hygiene gut, aber für die Technik eine Katastrophe“, erzählt Christof Kästner. Das staubige Material verflog bei Wind oder beim Einstreuen. Der ganze Stall inklusive PV-Anlage auf dem Dach war eingehüllt in einen Staubmantel - sogar die Kühe grau gefärbt und es kam zur Sedimentation in der Vorgrube.
Als Alternative wollte Christof Kästner gerne Gärsubstrat aus seiner Biogasanlage in die Tiefboxen streuen, um die auf dem Betrieb vorhandenen Ressourcen zu nutzen und Kreislaufwirtschaft zu betreiben. In die Biogasanlage kommt größtenteils die eigene Gülle, Mais und Festmist.
„Ein großer Vorteil ist, dass das Gärsubstrat keine Probleme in der Gülle bei Mixen oder Pumpen macht“, sagt Kästner. Aber das Veterinäramt sah in der Einstreu ein Hygienerisiko und machte ihm einen Strich durch die Rechnung. „Seit eineinhalb Monaten streuen wir jetzt hygienisiertes Gärsubstrat ein. Das wurde vom Amt abgesegnet.“ Dafür hat sich Christof Kästner extra eine Anlage aus Italien gekauft. Die steht neu glänzend zentral auf dem Hofgelände.
Hygienisierung, Pasteurisierung oder Sterilisierung? Letztendlich bezeichnen all diese Prozesse das Gleiche: nämlich die Erhitzung des separierten Materials aus der Biogasanlage auf 70 °C für mindestens eine Stunde. Und genau das passiert in der Biozelle auf dem Betrieb von Christof Kästner. Die hohe Temperatur entsteht nicht künstlich, sondern durch gezielte Sauerstoffzufuhr über ein Rührpaddel im Inneren der Zelle. Die Sauerstoffzufuhr aktiviert die Mikroorganismen und diese zersetzen die organische Substanz. Über Sensoren erfolgt eine sichere Dokumentation des Prozesses.
Das Erhitzen tötet – nach Herstellerangaben – 99 % der Bakterien und Keime im Material ab. Das wurde bei Christof Kästner auf dem Betrieb sogar untersucht. Dafür wurden die Gärreste der Nessetalmilch GmbH vor und nach der Hygienisierung mikrobiologisch begutachtet und in einem Labor ausgewertet.
„Das Einstreumaterial hat am Ende einen Trockensubstanz-Gehalt von circa 44 %“, erklärt Kästner. „Der Kompost war mit 80 % TS deutlich trockener.“ Trotzdem reicht der Gehalt im Gärsubstrat aus, um Feuchtigkeit zu binden. Nach Herstellerangaben absorbiert 1 kg Material bis zu 4 Liter Flüssigkeit.
Acht Tonnen hygienisiertes Gärsubstrat kommen pro Tag aus der Anlage. „Das ist eine Kapazität, die für 1.000 Plätze ausreicht, wenn man mit 8 kg/Kuh und Tag rechnet“, sagt Kästner. Die Biozelle bietet der Hersteller in vier verschiedenen Größen für 250 bis 2.500 Kuhplätze an.
Wie kommt die neue Einstreu an?
Die Vorderbeine in der Liegebox, die Hinterbeine auf dem Gang schaut eine Kuh neugierig zum Futtertisch. Nach dem gleichen Muster lassen sich mehrere Tiere im Stall ausmachen. Sind die Boxen nicht bequem? „Noch sind die Liegeboxen nicht bis zur Oberkante gefüllt, es fehlt Material“, sagt Kästner. Dafür ist die Hygienisierungs-Biozelle noch nicht lang genug in Betrieb. Erfahrungsgemäß muss etwas Zeit eingeplant werden, bis die Boxen voll sind. Wenn sie etwas länger gelaufen ist, die Liegeboxen aufgefüllt sind, erhofft sich Kästner eine Verbesserung der Eutergesundheit durch die sterile Einstreu. Aktuell sieht er bei einer Zellzahl von im Schnitt 180.000 Zellen/ml noch Verbesserungspotential.
Noch sind die Liegeboxen nicht bis zur Oberkante mit der Einstreu aufgefüllt.
(Bildquelle: Thiemann)
Nur Vormelken, nicht Vorreinigen
Im Melkstand wird nur vorgemolken und dann direkt angehängt. „Das Abwischen trägt nur Keime von A nach B“, ist sich Kästner sicher. Eine vernünftige Boxenpflege müsse für saubere Euter ausreichen. Nach dem Melken werden die Striche automatisch über das Melkgeschirr gedippt. „Das funktioniert bei uns gut, weil wir ein dünnflüssiges pflegendes und desinfizierendes Mittel auf Jodbasis verwenden“, sagt Kästner. „Das macht keinen Film und versiegelt den Strichkanal nicht. Das geht, weil wir dreimal am Tag melken, aber das passt bestimmt nicht überall.“
Da nicht vorgereinigt wird, ist die Boxenpflege entscheidend. Einmal am Tag pflegt ein Mitarbeitender die Liegeboxen. Zweieinhalb Stunden hat er Zeit – wenn die Kühe zum Melken unterwegs sind. Die Pflege ist fast ausschließlich maschinell zu bewältigen: eine Fräse und ein Gerät zum Glattziehen der Einstreu kommen auf dem Hof zum Einsatz. Nur die Übergänge muss er Hand abschieben. Jeden zweiten Tag wird Material nachgestreut.
230 Kühe pro Stunde mit einem Melker
Da auf dem Betrieb viele Prozesse automatisiert erfolgen, reicht ein Melker pro Melkzeit aus. Eine wahre Besonderheit ist das automatische Treibesystem, welches die Kühe aus dem Liegebereich zum Melken und wieder zurückbringt. Einen ausführlichen Bericht dazu haben wir zwei Jahre nach der Installation im Frühjahr 2014 geschrieben. Noch heute ist Christof Kästner zufrieden mit der Entscheidung, die Kühe vollautomatisch zum Melken zu treiben.
Bevor es zum Melken geht, schrillt ein Ton durch den Stall. Durch das Signal laufen viele Kühe schon von allein Richtung Melkstand, bevor der Kuhtreiber anläuft.
(Bildquelle: Thiemann)
In der Nessetalmilch GmbH kann ein Mitarbeiter allein 670 Kühe melken, weil er den Melkstand nicht verlassen muss. Ein automatisches Treibesystem holt die Kühe.
Schlechtes Grundfutter drückt Milchmenge
„Anfang des Jahres hatten wir mit 39 kg noch eine höhere Milchleistung“, erzählt Christof Kästner. Alle Melkenden bekommen bei ihm eine Ration vorgelegt. Die Futteraufnahme liegt bei 27 kg Trockenmasse, aber die Futtereffizienz sei aufgrund schlechter Grundfutterqualitäten im Moment nicht zufriedenstellend. Das hat die Milchleistung um 3 kg auf durchschnittlich 36 kg im Tagesschnitt gedrückt.
Das Leistungspotential seiner Herde ist aufgrund der intensiven Zucht trotzdem sehr hoch. Kästner arbeitet mit amerikanischen Zuchtwerten, lässt alle seine Kühe einstufen und verkauft regelmäßig zu guten Preisen auf verschiedenen Auktionen. In seiner Herde befinden sich 55 Excellent eingestufte Tiere. Damit sich die Nachzucht gut entwickelt, legt Kästner viel Wert auf die vernünftige Aufzucht.
Ein Drittel der produzierten Milch liefert die Nessetalmilch GmbH an die Molkerei Poelmeier. Den Rest vermarktet die GmbH zu 50 % über die Bayerischen Milchwerke zum aktuellen Milchpreis. Die anderen 50 % gliedern sich in 25 % Vergütung nach Festpreis und 25 % nach Spotmilchpreis. Jedes halbe Jahr hat Kästner die Möglichkeit sich zu überlegen, ob er weiter auf dem Spotmarkt verkaufen möchte.
Wer nicht investiert, hält heute keine Kühe mehr oder hört bald auf.
Christof Kästner
„Im Moment ist der Milchpreis für uns sehr gut“, sagt Kästner. „Wir haben aber auch viel Geld in neue Ställe und die Zukunft des Betriebes investiert.“ Ein ernüchterndes Fazit zieht der Agraringenieur beim Betriebsrundgang: die Investition in die Tierhaltung verpflichte dazu weiter zu machen. Jetzt lässt sich mit der Milch Geld verdienen. Das war aber nicht immer so. „Wer nicht investiert, hält heute keine Kühe mehr oder hört bald auf.“